Andere Energieprobleme

Erdgasförderung/Fracking


3. September 2015


Fracking lässt die Erde beben

Copyright: Pete Stern 2013


Kathrin Otte zu den erhöhten Krebszahlen in der Region und die Reaktionen der Behörden

„Merkwürdig verhalten“

Kathrin Otte kämpft gegen Umweltbelastungen, die Menschen krank machen.

Rotenburg - Von Michael Krüger. Erhöhte Krebszahlen auch in Rotenburg. Die Schlagzeile zu Anfang dieser Woche hat das Problem, das mit Bekanntwerden der massiv erhöhten Leukämie- und Lymphomerkrankungen älterer Männer in der Samtgemeinde Bothel im September 2014 begonnen hat, noch einmal verschärft. Die Suche nach Ursachen läuft.

Einen Zusammenhang mit der Erdgasförderung in der Region wollen die Behörden zwar nicht ausschließen, hüten sich aber vor schnellen Urteilen. Die Bürgerinitiativen arbeiten an der Aufklärung mit – werden aber auch deutlicher. Kathrin Otte, zweite Vorsitzende des „Gemeinnützigen Netzwerks für Umweltkranke“ (Genuk), spricht Klartext.


Haben die neuen Zahlen Sie überrascht?

Kathrin Otte: Der Schock bei der ersten Enthüllung der Krebsfälle in der Samtgemeinde Bothel war sicher noch größer. Auch, weil man sich erst daran gewöhnen musste, dass die eigenen Befürchtungen tatsächlich von der Realität bestätigt wurden. Ich hätte aber ehrlich nicht gedacht, dass sich ausgerechnet in der Stadt Rotenburg eine so ähnlich alarmierende Zahl gerade an Multiplem Myelom Erkrankter zeigt. Wenn man wie ich selbst von Umweltkrankheit betroffen ist, weiß man, welche Tragödien sich bei den Menschen und ihren Familien abspielen, dann ist man mit dem Herzen bei ihnen.

Aber wir können uns doch freuen, dass die sechs anderen an Bothel angrenzenden Kommunen keine erhöhten Krebszahlen aufweisen...

Otte: Nein, zu Freude besteht nun wirklich kein Anlass. Das wurde auch von einem Behördenleiter aus dem derzeit nicht auffälligen Nachbarlandkreis so formuliert: „Eine endgültige Entwarnung können wir ja trotzdem nicht geben“. Das ist ja gerade das besorgniserregende: Wenn es schon so lange Latenzzeiten gibt, wie sollen wir sicher sein, dass nicht in den nächsten Jahren noch mehr derartiger Krebsfälle auftauchen? Insgesamt muss man sehen, dass das Land Niedersachen in der Krankheitshäufigkeit von Leukämien bei Männern wie Frauen an der Spitze der Bundesländer steht. Das Bundesland mit der größten Häufigkeit beim Multiplen Myelom ist Niedersachsen. Auch das Niveau der hämatologischen Krebsneuerkrankungsfälle im gesamten Vergleichsgebiet Regierungsbezirk Lüneburg liegt um einiges über dem Bundesdurchschnitt. Also in Wirklichkeit ist das Ergebnis noch schlimmer. Von den hier untersuchten sieben Gemeinden liegt lediglich eine Gemeinde, Neuenkirchen, unter dem Bundesdurchschnitt. Der Frage „Warum gibt es hier im Vergleich so viele hämatologische Erkrankungen?“ muss in der gesamten Region dringend weiter nachgegangen werden. 

Sie sprachen nach der Pressekonferenz am Montag davon, dass sich Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Erdgasförderung verdichteten. Wie kommen Sie darauf?

Otte: Weil man mit der neuerlichen Krebsregister-Auswertung nunmehr sicher sein kann, dass das Problem nicht in einer einzelnen Samtgemeinde allein existiert, sondern flächendeckend in dieser seit Jahrzehnten intensiv betriebenen Gasförder-Region. Je mehr Einzelgemeinden eine höhere Krebshäufigkeit melden, ohne dass dafür erkennbar eine singuläre, örtliche Quelle für eine mögliche Krebsentstehung ausfindig gemacht werden kann, umso mehr muss man annehmen, dass das allen Gemeinden Gemeinsame und das sie von der Vergleichsregion unterscheidende, eben die Gasförderung, der Grund sein kann. Es ergibt einfach keinen Sinn, ständig den „elephant in the room“ hartnäckig zu übersehen. Auf unserer Homepage haben wir angefangen, die wissenschaftlich eingekreisten möglichen Ursachen darzustellen, eine Sicherheit in Bezug auf die Krankheitsursache hat man aber, wie bei sehr vielen anderen Krankheiten auch hier nicht.

Sie bringen das Multiple Myelom in einen direkten Zusammenhang mit Schadstoffen, die bei der Öl- und Gasförderung auftreten. Welche Anhaltspunkte haben Sie dafür?

Otte: Allein die unstrittigen Benzol-Immissionen, denen immer wieder über Jahrzehnte die Bevölkerung ausgesetzt gewesen ist, sollten Anlass genug sein, einen Zusammenhang bestimmter Krebserkrankungen mit den Schadstoffen der Öl- und Gasförderung zu vermuten und dem nachzugehen. Der Zusammenhang Benzol-Leukämie scheint am besten erforscht zu sein, aber auch für das Multiple Myelom ist die Benzol-Exposition ein diskutierter möglicher Auslösefaktor.

Wenn es diese Zusammenhänge gibt, warum hüten sich die Behörden weiter davor, diese anzuerkennen?

Otte: Das müssen Sie eigentlich die Behörden fragen. Die Vorsorgeverpflichtung für Schutzbefohlene scheint jedenfalls inzwischen aus den Köpfen verschwunden zu sein. Vielleicht fürchten sie in ihrem budgetschwachen und personalabgebauten Zustand, den Berg, den sie durch Wegsehen aufgebaut haben, nicht mehr bewältigen zu können. Das Von-sich-weisen jeglicher Zuständigkeit ist ja inzwischen schon zum Standard in vielen Fragen geworden. In einer Hinsicht aber ganz bestimmt: da, wo es um kostenträchtige und langfristige Folgen von Industrieprojekten geht, für die man in den meisten Fällen nur ungenügende Umwelt- und eigentlich nie Gesundheitsfolgenabschätzung vorgenommen hat. Das haben durch Umweltgifte und Strahlen Erkrankte, also Umweltkranke, in bitterster Weise, nämlich in Form von Verweigerung angemessener Therapien, Entrechtung, sozialer und gesellschaftlicher Isolation, krankmachendem Behördenstress bis hin zum Kampf gegen fälschliche Psychiatrisierung auszubaden. 2013 ist eine Studie der UNEP erschienen, die die extrem hohen Folgekosten durch Inaktivität bei dem üblichen schlechten Chemikalienmanagement herausarbeitet. Bis zum Bankencrash 2008 haben alle mit einem mulmigen Hintergedanken über die Marktregulierungsreligion gedacht: „Wird schon gutgehen!“ Dieses mangelnde Staatsbürgerbewusstsein können wir uns heute eben nicht mehr leisten, denn unsere biologische Belastbarkeit ist endlich. Das müssen wir den Behörden nachdrücklich klar machen.

Verhalten sich die Behörden im Landkreis korrekt? Oder sehen Sie eine gewisse Parteilichkeit?

Otte: Wenn Sie unsere Zusammenarbeit mit Frank Stümpel und seinem Team vom Gesundheitsamt meinen: Die ist in dem gesetzten Rahmen überhaupt nicht zu beanstanden! Dort wurden große Anstrengungen unternommen, um statistisch-epidemiologische Daten zu bekommen, die einer sinnvollen Gesundheitsüberwachung zugrunde liegen müssen. Und immerhin ist die Konstruktion unserer Arbeitsgruppe, zusammengesetzt aus Behördenvertretern aus Landkreis, Land sowie Bürgerinitiativen, etwas Neues, das in die richtige Richtung weist. Auch ist absolut nichts gegen einen wissenschaftlich sauberen Ansatz einzuwenden. Wenn allerdings die Neutralitätsbestrebungen und das Bemühen um ein sehr hohes Niveau von Evidenz beim Nachweis gleichzeitig vergessen lässt, dass, Zitat Prof. Rainer Frentzel-Beyme – „Prävention bereits bei Vorliegen erster Hinweise auf gefährliche Zusammenhänge erfolgen muss, ohne die wissenschaftliche Absicherung und Erklärung des gesamten Mechanismus der Krankheitsgefährdung abzuwarten“, dann ist dies wohl der Kern unserer Kritik. Denn mit einem rechtzeitigen Eingreifen gemäß bereits vor Jahrzehnten geltender gesetzlicher Definition wäre vielleicht niemand krank geworden. Nun auf „Ergebnisoffenheit“ und die Unerkennbarkeit jedweder möglicher Ursachen zu pochen, wirkt angesichts der alarmierenden Tatsachen merkwürdig verhalten. Wir betrachten es nicht als „unsachlich“ oder „spekulativ“, auf die bisher in der Wissenschaftsliteratur diskutierten möglichen Risikofaktoren für das Multiple Myelom hinzuweisen und gleichzeitig auf multifaktorielle Hintergründe wie individuelle Lebensumstände sowie auch genetische Dispositionen zu verweisen. Ob und inwieweit beispielsweise im Umweltausschuss immer noch keine der Gefährdungssituation angemessene „Aufklärungskultur“ existiert, vermag ich nicht zu beurteilen. Es ist Sache der Menschen hier im Landkreis, ihren Behörden klar zu sagen, was sie von ihnen erwarten.

Wie lässt es sich erklären, dass nur Männer betroffen sind?

Otte: Um dieser Art von Geschlechterunterschieden genauer auf den Grund zu gehen, läuft derzeit eine große Studie. In ein bis zwei Jahren kann man also mehr darüber wissen. Unterschiedliche Betroffenheit der Geschlechter kennt man auch von anderen Krankheiten. Auch physiologische Geschlechterunterschiede werden als Ursache für dieses Phänomen in Betracht gezogen. Generell tritt Krebs und auch das Multiple Myelom bei Männern häufiger als bei Frauen auf. Man kann sicherlich vermuten, dass Männer in ihrem Berufsleben häufiger in Kontakt mit Benzol oder anderen schädigenden Stoffen kommen als Frauen. Weiterhin könnte es sein, dass die Ausstattung von Männern mit den entsprechenden Entgiftungs-Enzymen schlechter ist als bei Frauen.

Aber Erdgasförderung heute ist doch sicher, betonen die Konzerne und sogar der Ministerpräsident.

Otte: Was zu beweisen wäre! Dass die Industrie dies behauptet, wundert inzwischen niemanden mehr. Der Merkel-Begriff der „marktkonformen Demokratie“ wird aber offenbar auch von den Behörden bis hinauf in höchste Ämter so ausgelegt, dass der Besorgnisgrundsatz und das verpflichtende Vorsorgeprinzip gegenüber der Bevölkerung eine zu vernachlässigende Größe zu sein scheint. Industrie-Interessen genießen dagegen eine hohe Aufmerksamkeit. 70 Jahre Gas- und Ölförderung im Landkreis Rotenburg wurden – wie wir alle nun wissen – ohne nennenswerte Kontrollmaßnahmen zum Beispiel in Bezug auf systematische und konstante Schadstoffmessungen durchgeführt. Und dies in Anwesenheit der schädlichsten Stoffe, die zu Tage gefördert wurden. Die sind in ihrer Gesamtheit nicht nur toxisch, sondern auch krebserregend, fruchtschädigend, ja im Falle von radioaktiven Isotopen sogar erbgutschädigend. Der Frackingboom in den USA hat eine Unmenge an dokumentierten Gesundheitsschädigungen nach sich gezogen, das zeigt die umfangreiche wissenschaftliche Literatur deutlich. Zieht man die chemischen Frack-Fluide ab, bleibt immer noch das gesamte Schädigungspotential des hochtoxischen Lagerstättenwassers sowie das unkontrollierte Austreten leichtflüchtiger, auch krebserregender Stoffe. Wenn nie in und nach der Fackel gemessen wurde, in deren Schein und Gestank ganze Generationen von Rotenburger Landkreisbewohnern aufwuchsen, wie will man denn angesichts der alarmierenden Krebsfälle nun unbewiesenerweise glaubhaft machen, diese Praktiken seien ungefährlich? Dies sollte auch unser Ministerpräsident überdenken, der im Bundesrat zumindest die bisherige Fracking-Praxis mit rund 342 Fracks in den niedersächsischen Gasfördergebieten für „prinzipiell kontrollierbar und prinzipiell verantwortbar“ erklärte.

Was muss nun passieren?

Otte: Man ist ja geneigt, angesichts der gravierenden Dimension der Verletzung staatlicher Aufsichtspflicht und dem nun endgültig gescheiterten Konzept „Freiwillige Selbstkontrolle der Industrie“ nach der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses im Landtag zu rufen. Konsequenz der Landesbehörden muss nun mindestens sein, im Sinne einer bisher sträflich vernachlässigten Vorsorge eine realistische Gefährdungsanalyse sowie die von Genuk seit August 2013 geforderte Gesundheitsstudie vorzunehmen, die niedersächsischen Ärzte in Punkto „Klinische Umweltmedizin“ fortzubilden und weitere Maßnahmen zur Feststellung, Prävention und Früherkennung noch zu erwartender oder noch zu ermittelnder Erkrankungen zu ergreifen. Keinesfalls darf weiterhin so getan werden, als könne man nicht von einer Gefährdung der Bevölkerung sprechen, denn niemand kann sagen, was nach den langen Latenzzeiten noch auf uns zu kommt. Wünschenswert wäre, wenn auch wir hier in Deutschland einen „Untersuchungsrat für Sicherheit“ wie in Holland hätten. Der hat nämlich der Erdgasindustrie, den holländischen Behörden sowie explizit dem Wirtschaftsminister in einem aktuellen Untersuchungsbericht zu der großen Erdbebengefahr in Groningen vorgeworfen, ihrer Sorgfaltspflicht für die Sicherheit der Bevölkerung nicht nachgekommen zu sein und fordert diesbezüglich unter anderem eine öffentliche Anerkennung dieser Tatsache.

Was erwarten Sie von den Behörden im Landkreis?

Otte: Dass der Landkreis faktisch von den Möglichkeiten zur Regulierung in vielen Bereichen zugunsten der Zuständigkeit des Landes entmachtet ist, ist belegt. Somit ist der Landkreis allerdings auch von seiner Zahlungsverpflichtung in Bezug auf die Schadensregulierung entlastet. Die Behörden im Landkreis müssen sich also um Umsetzung der Verantwortlichkeiten aus Hannover bemühen. So wurde bereits eine Außenstelle des Landesbergamts (LBEG) gefordert. Der Landkreis muss demnach Druck in Richtung Hannover aufbauen, dass man dort den gesetzlich geregelten Verantwortlichkeiten nachkommt. Dazu gehören auch Regelungen zum Gesundheitsschutz durch das Berggesetz. Das LBEG muss sich seinen Unterlassungen der Vergangenheit stellen und eine ehrliche Bilanz aufstellen. Was die Versäumnisse des LBEGs nicht schmälern soll, aber wichtig ist, um einen der Gründe für die mangelnde Kontrollausübung zu erklären: Der zur Unkenntlichkeit verschlankte Staat hat auch das LBEG auf eine Personaldecke gebracht, die unmöglich die in es gesetzten Anforderungen erfüllen kann. Man kann mit 25 Mitarbeitern keineswegs die 3000 Einrichtungen der Gas-/Ölindustrie in vier Bundesländern samt den 400 bis 600 Kilometern unterirdischen Rohrleitungen sinnvoll kontrollieren! Warum dieser Umstand nicht früher von den Behördenleitern angezeigt wurde, muss man diese allerdings fragen, ebenso wie die Wirtschaftsminister in den letzten Jahrzehnten.

Glauben Sie „ExxonMobil“ und Dea, dass sie, wie sie betonen, zur Aufklärung beitragen wollen?

Otte: Dafür gibt es keinerlei Anzeichen, ganz im Gegenteil. Dass sich die Betreibergesellschaften überhaupt nur dann bewegen, wenn ihnen bereits etwas nachgewiesen wurde, konnten wir ja in der letzten Zeit hautnah miterleben. Und diese Nachweise sind wohlgemerkt von Bürgern und Bürgerinitiativen und von Behörden nur nachkontrollierend erbracht worden. Aber selbst dann wird uns wie beim „Exxon Regionaldialog“ erzählt, wir sollen ruhig schlafen, denn aus der Fackel käme nur das reinste Gas. Wie in der Küche? Selbst das ist nicht wirklich rein. Warum aber wird überhaupt abgefackelt? Um die störenden Verkrustungen aus toxischen Ablagerungen bisher meist völlig ungefiltert herauszubrennen. Würde man uns in öffentlichen, paritätisch mit Bürgern besetzten Gremien erklären wollen, welche Maßnahmen man denn neuerdings zur angeblichen 100-Prozent-Reinheitsfilterung einzusetzen gedenkt und sich dann einer ungehinderten Kontrolle durch diese Gremien unterziehen, dürfte man vielleicht von einer neuen Kooperationsbereitschaft sprechen können. Dazu gehörte dann aber auch eine freiwillige Einzahlung in einen unabhängigen Fonds zur Finanzierung all der Kontrollen, Untersuchungen, Gesundheitsleistungen bis hin zu Entschädigungszahlungen, die wir derzeit zur Abfederung der Folgekosten der Fehler einer milliardenschweren Industrie aus Steuergeldern und Krankenkassenbeiträgen berappen müssen.

Bringt uns das neue Fracking-Gesetzespaket Verbesserungen?

Otte: Meinen Sie Barbara Hendricks „schärfstes Fracking-Gesetz der Welt“? Auf 75 Prozent der Fläche Deutschlands kann gefrackt werden, und das in jeder Gesteinsart und in jeder Tiefe! Im Schiefer- und Kohleflözgestein entscheidet im Wesentlichen eine sechsköpfige Kommission nach Mehrheitsprinzip aufgrund ihrer Zusammensetzung voraussichtlich im Zweifel für Fracking. Die Verpressung des Flowbacks, der gefährlichen Mischung aus Frack-Fluiden und Lagerstättenwasser, erfolgt ungeregelt in den Untergrund. Der Besorgnisgrundsatz des Wasserrechts soll für Fracking aufgehoben werden, indem der Frackprozess von der anschließend möglichen Verseuchung des Grundwassers rechtlich getrennt werden soll. Das tatsächlich schärfste Frackinggesetz gibt es schon längst in Frankreich und seit Dezember 2014 auch im Staat New York und das heißt: ausnahmsloses rechtssicheres Frackingverbot. Und um abschließend auf Ihre Frage einzugehen: Ja, für die Industrie bringt es Rechtssicherheit beim Fracking, für uns als Bevölkerung bringt es potenziell irreparable Gesundheits- und Umweltgefahren.

Ist allein das Fracking das gesundheitsgefährdende Problem, oder geht es um die Förderung insgesamt?

Otte: Wie bereits erwähnt, machen uns bereits die in der konventionellen Gas-/Ölförderung zu Tage tretenden Schadstoffe große Sorgen. In den USA wurden in einem neuen Verfahren mit Nasa und der Universität Innsbruck große Mengen Methan über den Fracking-Bohrstellen gemessen. Diese Austritte dürften auch hier ständig stattfinden – wieder ist nicht gemessen worden. Und wer weiß denn schon, dass sich Methan unter Sonneneinstrahlung in krebserregendes Formaldehyd verwandelt? Dass die „Bohrlochintegrität“ bereits nach wenigen Jahrzehnten um bis zu 50 Prozent nicht mehr gegeben ist, ist ebenfalls in den USA bereits wissenschaftlich erwiesen worden. Dies führt folglich zum ungehinderten Entweichen leichtflüchtiger Stoffe aus der Bohrlochummantelung – und das kann unbestritten sowohl Quecksilber, als auch Benzol, Tuluol, Xylol und vieles mehr sein. Über die daraus resultierende Wassergefährdung zu sprechen, würde hier zu weit führen. Wenn man nun liest, wie am Ende des fossilen Zeitalters um ihre Existenz ringende Gas-/Ölindustrie Druck auf unsere Bundestagsabgeordneten ausgeübt wird, wird die Gefährdungslage deutlich. In einem solchen Brief droht die Fracking-Service-Firma Schlumberger im Falle eines Fracking-Verbots: „Der Wegfall dieses Sektors mündet mit großer Wahrscheinlichkeit in: Gefährdung der Umwelt durch den Mangel an Experten für die fachgerechte Stilllegung der existierenden Bohrungen, wie die daraus entstehende Gefährdung der Allgemeinheit.“ Wenn also bereits das nicht ordnungsgemäße Verschließen der Bohrlöcher nach Beendigung der Förderung bereits eine „Gefährdung der Allgemeinheit“ darstellt, wie ist denn dann erst die Gefährdung bei der aktiven Förderung einzuschätzen?

Zur Person

Die 54-jährige Kathrin Otte lebt in Amelinghausen (Kreis Lüneburg) – genauer auf dem „Aufsuchungsfeld Oldendorf“, wie die selbstständige Personalberaterin betont. Ihr Leben sei wie das von hunderttausend anderen auch zutiefst und nachhaltig durch verschiedene schädliche Umweltgifte geschädigt. Ihre „relative Gesundung“ unter anderen nach Krebserkrankung und Leberzirrhose habe sie einigen wenigen Pionieren der Umweltmedizin in Deutschland zu verdanken. Die jahrzehntelange Verweigerung der Anerkennung der Umweltkrankheiten habe sie überzeugt, dass nur Betroffene selbst einen Paradigmenwechsel erwirken können. Otte ist stellvertretende Vorsitzende des ,,Gemeinnützigen Netzwerks für Umweltkranke’’(Genuk). Es versteht sich als Netzwerk engagierter Einzelpersonen und unabhängiger Selbsthilfeorganisationen sowie Wissenschaftler, Ärzte, Techniker und Naturwissenschaftler.

Krebsarten

Das Multiple Myelom stellt nach Angaben des Robert-Koch-Instituts eine bösartige Vermehrung Antikörper produzierender Plasmazellen dar. Meist tritt die Erkrankung zuerst im Knochenmark auf und bildet dort häufig mehre- re Erkrankungsherde (multiples Myelom) mit ent- sprechenden Komplikationen, wie Knochenbrüchen und -schmerzen oder Blutbildveränderungen. Die Erkrankung trat im Jahre 2010 in Deutsch- land bei etwa 3 360 Männern und 2 780 Frauen neu auf. Das Erkrankungsrisiko steigt in höherem Alter deutlich an, Erkrankungen vor dem 45. Lebensjahr sind äußerst selten. Die Prognose ist mit relativen Fünf-Jahres-Überlebensraten von etwa 45 Prozent eher ungünstig. Leukämie ist eine bösartige Erkrankung des blutbildenden und lymphatischen Systems – umgangssprachlich auch Blutkrebs genannt. Es werden vermehrt weiße Blutzellen gebildet, die sich im Knochenmark ausbreiten und dort die übliche Blutbildung verdrängen. Die Organfunktionen werden gestört. Etwa 13 500 Menschen erkrankten 2011 in Deutschland an einer Leukämie. Männer sind etwas öfter betroffen als Frauen. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei 54 Prozent.

     (c) Kreiszeitung Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG , Am Ristedter Weg 17, 28857 Syke

http://www.kreiszeitung.de/ 

 


Erdgas-Produzenten äußern sich zu erhöhten Krankenzahlen in Bothel

„Jeder einzelne Krebsfall ist bedauerlich“

24.10.14


 

© Krüger

An der Bohrung „Höhnsmoor Z1“ zwischen Rotenburg und Westerholz wurde am 22. Juni 2011 zum bislang letzten Mal gefrackt, um die Erdgasproduktion anzuschieben. Die Diskussion um die Gesundheitsgefahren nahm erst danach richtig Fahrt auf.



17.3.2015 


Bothel - Von Michael Krüger. Am 11. September schreckte der Landkreis auf: Erstmals wurden Zahlen des des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen (EKN) bekannt, nach denen in der Samtgemeinde Bothel unverhältnismäßig viele Männer an Leukämie oder Lymphomen erkrankt sind.

Nun läuft die Suche nach den Ursachen. Kritiker der intensiven Erdgas-Förderung in der Region stellten umgehend Zusammenhänge her – doch Politik und Verwaltung mahnen zur Sachlichkeit in der Debatte. Erstmals äußert sich im Gespräch mit der Kreiszeitung die kritisierte Branche selbst. Hartmut Pick vom Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) spricht für die auch in der Region tätigen Unternehmen „ExxonMobil“ und RWE Dea.

 

Nach dem Bekanntwerden der Krebs-Zahlen haben die Vertreter der Erdgas- und Erdölunternehmen bislang geschwiegen. Warum?

Hartmut Pick: Die Ergebnisse des EKN hinsichtlich einer Häufung von Krebserkrankungen im Bereich der Samtgemeinde Bothel machen uns betroffen. Jeder einzelne Krebsfall ist bedauerlich, und es ist verständlich, dass Betroffene und Angehörige nach Gründen dafür suchen. Wenn die Frage im Raum steht, ob dies mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit in Verbindung stehen könnte, muss diese geklärt werden. Aber ein Zusammenhang mit der Erdgasproduktion ist derzeit nicht zwangsläufig ableitbar. Die öffentliche Diskussion hierzu beruht ausschließlich auf Spekulationen. Auch der Bericht des EKN enthält keinen Hinweis auf diesen Zusammenhang, sondern verweist auf Grund der Häufung bei Männern allgemein auf eine mögliche berufliche Exposition. Als Industrie bitten wir um Verständnis, dass wir uns zu Spekulationen nicht äußern; hiervor warnen ja auch Politiker.

 

Können Sie die Bedenken denn nachvollziehen? Und wie wollen Sie bei der Suche nach Ursachen helfen?

Pick: Allein aus der Tatsache heraus, dass im Lagerstättenwasser Benzol enthalten ist, auf einen Zusammenhang zwischen Erdgasförderung und Erkrankungen zu schließen, mag zwar aus der Sicht des Betroffenen nachvollziehbar sein, ist aber wissenschaftlich nicht haltbar. Die deutschen Erdgasproduzenten begrüßen und unterstützen den Plan, dass sich die zuständigen Institutionen in Niedersachsen jetzt umgehend und mittels wissenschaftlicher Methoden mit der Aufklärung der Hintergründe befassen. Wir erwarten, dass in dieser Untersuchung alle möglichen Verursacher ergebnisoffen in die Betrachtung einbezogen werden. Wir sind auch bereit, daran mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln mitzuwirken.

 

Die Debatte hat viele Vorwürfe und Misstrauen an die Oberfläche gespült. Wie wollen Sie als Verband mehr Vertrauen in Ihre Technik und Produkte herstellen?

Pick: Die Erdgasproduktionsindustrie hat zahlreiche Anstrengungen unternommen, um Vertrauen zurück zu gewinnen. Dies betrifft Aspekte der Kommunikation, der Transparenz sowie technische Lösungen. Neben stärkerer Vor-Ort-Präsenz der Unternehmen und deutlicher Stärkung von Infoveranstaltungen vor Ort sind insbesondere die Web-Seiten von WEG und Unternehmen zu nennen, auf denen zum Beispiel Betriebspläne und andere Informationen veröffentlicht sind. Im Internet-Angebot des WEG wurden beispielsweise Info-Seiten über Fracfluide oder das Bürgerinformationssystem zur seismischen Überwachung eingerichtet.

 

Das betrifft die Öffentlichkeitsarbeit. Ändern Sie denn auch technische Aspekte?

Pick: Die Industrie arbeitet intensiv an technischen Verbesserungen. So wurde beispielsweise im WEG eine Technische Regel für hydraulische Bohrlochbehandlungen in konventionellen Speichergesteinen veröffentlicht, in der auch geregelt ist, dass Frac-Fluide nicht giftig oder umweltgefährlich sein dürfen. Fortschritte hat die Industrie beispielsweise auch bei Überwachung, Stilllegung oder Austausch von PE-Leitungen erreicht.

 

Wie weit ist die Technik, um Lagerstättenwasser oberirdisch zu reinigen oder zumindest nicht mehr oberflächennah zu verpressen?

Pick: Im Rahmen der Bemühungen um eine umweltverträgliche, nachhaltige und ökonomische Behandlung beziehungsweise Entsorgung von Lagerstättenwasser gibt es innerhalb des WEG eine Arbeitsgruppe, die alle Optionen offen prüft und nach konkreten Lösungsansätzen sucht. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die Ökoeffizienz der verschiedenen Optionen. Als Ergebnis entsprechender Untersuchungen hat die Erdgas- und Erdöl-Industrie erklärt, dass sie langfristig die Verpressung in flache Horizonte einstellen wird und zugesagt, Lagerstättenwasser zukünftig nur in ehemalige kohlenwasserstoffführende Formationen zu reinjizieren, also in ehemalige Lagerstätten, die sich in der Regel in Horizonten im Bereich von 5000 Metern befinden. Entsprechende Betriebspläne sind bereits beantragt und bedürfen der Genehmigung. Zusätzlich wird die Aufbereitung des Wassers als mögliche Option geprüft. Dazu hat es erste Gespräche mit potenziellen Anbietern gegeben. Ergebnisse liegen im derzeitigen Stadium der Gespräche noch nicht vor.

 

Geben Sie bekannt, welche Inhaltsstoffe Frac-Flüssigkeit und Lagerstättenwasserhaben?

Pick: In der Technischen Regel des WEG für hydraulische Bohrlochbehandlungen in konventionellen Speichergesteinen haben sich die Unternehmen verpflichtet, die Inhaltsstoffe der Frac-Fluide zu veröffentlichen. Auf den Web-Seiten der Unternehmen sowie auf der WEG-Seite sind die Angaben veröffentlicht.


 

Erdgasförderung im Landkreis:

69 Fracs gab es im Landkreis Rotenburg bislang insgesamt, 1982 in Söhlingen den ersten. RWE Dea und „ExxonMobil“ haben sich den Markt im Landkreis untereinander aufgeteilt. Zuletzt wurde in der Region am 22. Juni 2011 gefrackt, um die Erdgasproduktion anzuschieben. RWE Dea setzte die Frac-Technologie, bei der ein Chemikalien-Gemisch in der Tiefe die Gasvorkommen freilegen soll, an der Bohrung „Höhnsmoor Z1“ zwischen Rotenburg und Westerholz ein – in Sandstein. Eine ähnliche Maßnahme hat „ExxonMobil“ an der Bohrstelle „Bötersen Z11“ geplant. Die Genehmigung steht aber noch aus. Kreisweit gibt es fünf Versenkbohrungen für Lagerstättenwasser: „Stapel Z1“, „Sottrum Z1“, „Söhlingen H1“, „Wittorf Z1“ und „Gilkenheide Z1“. Welche Gefahr vom Frac selbst, vom anfallenden Lagerstättenwasser und vom laufenden Betrieb ausgeht, ist höchst umstritten – und noch weitgehend unerforscht.

 

 

     (c) Kreiszeitung Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG , Am Ristedter Weg 17, 28857 Syke

http://www.kreiszeitung.de/